Freitag, 6. Juni 2008

Zur Tiefenökologie und allgemeinen Theorie der Ökokritik

Hier ein kleiner Nachtrag zur theoretischen Seite der Ökokritik.
Wir haben im Seminar anhand von Greg Garrard die Konzeption einer Ökokritik als eine mögliche kultur- oder literaturwissenschaftliche Disziplin kennengelernt. Garrard bestimmte dabei Ökokritik konkret als eine Form von rhetorischer Analyse von Werken (oder ganz allgemein Diskursen) hinsichtlich der in ihnen implizierten Mensch-Umwelt-Beziehungen. Sie sollte zu einer allgemeinen Kritik des 'Anthropos' führen, die sich bei ihren Urteilen die (naturwissenschaftliche) Ökologie zum Maßstab nimmt. Wie wir erfahren haben, gibt es aber auch ökokritische Positionen außerhalb dieser engeren wissenschaftlichen Fassung, bzw. ist dieser Ansatz eigentlich erst ein späteres Ergebnis in der Entwicklung der Ökokritik.
Jacob machte mich schon vor einer Weile auf die Dissertation von Hannes Bergthaller aufmerksam, die mit dieser Thematik zutun hat. Ihr Titel lautet "Ökologie zwischen Wissenschaft und Weltanschauung" und kann hier kostenlos heruntergeladen werden :

Bonner Dissertationen & Habilitationen online

Wie dem auch sei, im Folgenden könnt ihr einmal, in Stichworten umrissen, das Programm der Tiefenökologie (deep ecology) zum Vergleich heranziehen. Es ist eine Zusammenfassung von Bill Deval.
(Quelle : Devall, Bill: Die tiefenökologische Bewegung. In : Birnbacher, Dieter [Hrsg.] (1997) Ökophilosophie. Stuttgart : Reclam, S.32-36)

1. Eine notwendige Bedingung für einen tragfähigen Ansatz zur Konstruktion einer Ökophilosophie ist eine neue kosmisch-ökologische Metaphysik, die die (Ich-Du-)Identität zwischen Mensch und nicht-menschlicher Natur hervorhebt..

2. Gefordert ist eine objektive (d.h. nicht-anthropozentrische, L.K.) Einstellung zur Natur.

3. Es bedarf einer neuen Psychologie, um die Metaphysik in das geistige Umfeld der postindustriellen Gesellschaft zu integrieren.

4. Der Umweltschutz hat eine objektive Grundlage, aber die objektive Wissenschaft im neuen Paradigma unterscheidet sich von der gegenwärtig verbreiteten engen, analytischen Auffassung der "wissenschaftlichen Methode". (Sie soll partizipatorisch sein, ohne den Subjekt-Objekt-Dualismus der modernen Wissenschaft.)

5. Es liegt Weisheit in der Stabilität der natürlichen Prozesse, unbeeinflusst von Eingriffen des Menschen.

6. Wohlstand und Qualität menschlichen Lebens sollten nicht nur an der Quantität der Produkte gemessen werden.

7. Die optimale Tragfähigkeit der Erde für den Menschen sollte mit Blick auf den Planeten als Biosphäre bestimmt werden, jeweils für spezielle Inseln, Täler und Kontinente.

8. Die Behandlung von Symptomen des Konflikts zwischen Mensch und Natur, wie Luft- oder Wasserverschmutzung, könnte die Aufmerksamkeit von wichtigeren Themen ablenken und damit eine "Lösung" der Probleme erschweren.

9. Eine neue philosophische Anthropologie wird Erkenntnisse über Jäger- und Sammlergesellschaften auswerten, um daraus Prinzipien für eine gesunde und ökologisch überlebensfähige Gesellschaft zu gewinnen.

10. Diversität ist etwas inhärent Wünschenswertes, sowohl in der Kultur als auch hinsichtlich der Gesundheit und Stabilität von Ökosystemen.

11. Man sollte sich rasch auf eine "weiche Energieversorgung" und auf eine "angepasste Technik" zubewegen sowie auf einen Lebesstil, der zu einem drastischen Rückgang des Pro-Kopf-Energieverbrauchs in fortgeschrittenen Industriegesellschaften führt. Gleichzeitig sollte die Energieversorgung in abgelegenen Dörfern sogenannter "Drittweltstaaten" auf ein angemessenes Niveau angehoben werden.

12. Ziel der Erziehung sollte es sein, die geistige Entwicklung sowie die Persönlichkeitsbildung der Mitglieder einer Gemeinschaft anzuregen - sie nicht nur auf Berufe vorzubereiten, die speziell in eine oligarchisch strukturierte, auf Konsum angelegte fortgeschrittene Industriegesellschaft passen.

13. Gefordert sind mehr Freizeit und Muße, um Kunst zu genießen, zu tanzen, Musik zu hören und Sport zu treiben - wodurch das Spiel wieder zur Quelle erfüllten Lebens und kultureller Leistung wird.

14. Lokale Autonomie und Dezentralisierung von Macht ist zentraler politischer Gewalt und einer oligarchisch strukturierten Bürokratie vorzuziehen.

15. In der Zeit bis zur Etablierung einer stabilen Ökonomie und einer radikal geänderten Sozialstruktur sind weite Bereiche der Biosphäre auf der Erde abzugrenzen und von weiterer industrieller Erschließung und umfangreicher Besiedlung auszuschließen; diese Gebiete sollen durch bestimmte Schutzgruppen verteidigt werden.

Keine Kommentare: